Mörderische Außenpolitik

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Die Berliner Regierung unterstützt den neuen Sultan in Ankara

von Sevim Dagdelen

In einem Referendum hat sich der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan Mitte April die Verfassungsänderung bestätigen lassen. Mit knapper Mehrheit (51 %) und viel Betrug hat er sich den Weg in die Diktatur geebnet. Die Abstimmung war weder frei noch fair, was auch die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) bestätigt. So hatte der Despot am Bosporus seine wichtigsten Widersacher, Politiker der prokurdischen Oppositionspartei HDP, darunter die Vorsitzenden Selahattin Demirtas und Figen Yüksekdag sowie elf weitere Abgeordnete und Dutzende Bürgermeister im kurdischen Südosten in Haft nehmen lassen. Die Medien sind gleichgeschaltet. Mehr als 150 Journalisten sitzen in Haft. Mit dem scheindemokratischem Votum hat der türkische Staatschef fortan diktatorische Vollmachten. Die Gewaltenteilung ist faktisch abgeschafft. Der seit dem gescheiterten Militärputsch im vergangenen Sommer verhängte Ausnahmezustand ist jetzt offiziell Normalzustand.

Als einer der ersten gratulierte neben den islamistischen Terrormilizen Ahrar Al Sham und der Al-Qaida in Syrien US-Präsident Donald Trump seinem Amtskollegen in Ankara zum Erfolg beim Referendum – und damit zu der formellen Beseitigung der Demokratie. Auch die NATO steht zu dem neuen Sultan, der aus der Türkei einen islamistischen Unterdrückungsstaat macht. Der Generalsekretär des westlichen Militärpakts, Jens Stoltenberg, äußerte, Die Türkei sei ein „Schlüsselland für die Sicherheit in Europa und für die NATO“, nicht zuletzt wegen ihrer geografischen Lage nahe den „Krisenherden“ Syrien und Irak. Der FDP-Politiker und Vizepräsident des Europäischen Parlaments, Alexander Graf Lambsdorff, brachte es dankenswert offen auf den Punkt: Die Türkei sei „unser Flugzeugträger im Nahen Osten“.

Zu den wichtigsten Stützen Erdogans zählt aber die Bundesregierung – und das, obwohl sie selbst im August 2016 noch erklärte hatte, dass Erdogan die Türkei zur „zentralen Aktionsplattform für islamistischen Terrorismus“ ausgebaut hat. Unmittelbar nach dem Referendum mahnte Außenminister Gabriel zur „Besonnenheit“ statt zu Konsequenzen. Die Bundesregierung erwarte, „dass die türkische Regierung nun nach einem harten Referendumswahlkampf einen respektvollen Dialog mit allen politischen und gesellschaftlichen Kräften des Landes sucht“, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung von Kanzlerin Merkel und ihrem Vize. Ein Hohn für die mehr als 100.000 Menschen, die in den vergangenen Monaten aus dem Staatsdienst entlassen und die Zehntausenden, die aus politischen Gründen im Gefängnis sitzen.

In Deutschland und in der EU wurden die Stimmen lauter, die einen Stopp der EU-Beitrittsverhandlungen mit Ankara fordern und in der Folge ein Einfrieren der Hilfsgelder für Erdogan in Höhe von immerhin 630 Millionen Euro jährlich. Doch auf Merkel und Gabriel kann sich Erdogan verlassen. Sie geben Kontra. Beim EU-Außenministertreffen in Malta am 28. April brachte der Sozialdemokrat Gabriel seine Kollegen auf die deutsche Linie, die Beitrittsverhandlungen fortzuführen und die Milliardenhilfen zu zahlen. In Brüsseler Hinterzimmern soll die Ausweitung der Zollunion mit der Türkei weiter ausgedealt werden. Dabei machte Gabriel sein geopolitisches Ziel deutlich, dass er kein Interesse daran habe, die Türkei „in Richtung Russland zu drängen“. Merkel erklärte, die Türkei sei Verbündeter „im Kampf gegen den islamistischen Terror“. Dabei bewaffnet Erdogan die Ahrar Al-Sham und unterstützt die Al-Qaida in Syrien und den „Islamischen Staat“. Sein Arm reicht bis nach Deutschland, wo der Moschee-Verband DITIB in den vergangenen Jahren den politischen Islamismus predigen konnten. Die Wahlkampfauftritte der AKP-Regierungsmitglieder haben die Desintegration der türkischen Community in Deutschland befördert und auch hierzulande unter Erdogan-Kritikern ein „Klima der Angst“ erzeugt.

 Und so ist geradezu symbolträchtig, dass ausgerechnet am „Tag der Befreiung vom Faschismus“ die Bundesregierung die Wiederbelebung der Wirtschaftsbeziehungen mit Erdogans Despotenland offerierte. Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries bekundete bei einem Treffen mit ihrem türkischen Kollegen Nihat Zeybekci am 8. Mai, man wolle an die früher guten ökonomischen Beziehungen anknüpfen. Deutschland sei bei einem Warenaustausch von 37 Milliarden Euro der wichtigste türkische Handelspartner. „Diese guten Beziehungen zur Türkei möchten wir auch gerne zukünftig haben“, so die SPD-Politikerin. Für die guten Geschäfte wären „klare Zusagen zur Gewährleistung von Rechtssicherheit“ notwendig. Unsicherheit schadeten Investitionen.

Ungeachtet vereinzelter Kritik – etwa an einer möglichen Wiedereinführung der Todesstrafe – setzt die Bundesregierung damit genau den Kuschelkurs fort, der Erdogan erst stark gemacht hat. Die Krönung: Der deutsche Rüstungskonzern Rheinmetall darf mit Unterstützung der Bundesregierung eine Panzerfabrik in der Türkei bauen.

Ein radikaler Kurswechsel in der deutschen Türkeipolitik ist überfällig. Es darf keine Kooperation mit dem Terrorpaten geben. Lautsprecher für den politischen Islam wie DITIB oder der AKP-Ableger UETD dürfen staatlicherseits nicht länger mit Millionen Steuergeldern gefördert werden. Nach dem Ja zur Diktatur ist das Aus der EU-Beitrittsgespräche und der Finanzhilfen zwingend, ebenso der Abzug der deutschen Soldaten aus Incirlik und Konya. Keine Waffen, kein Cent und keine Soldaten für Erdogan – dies muss das Gebot sein.

 Sevim Dagdelen ist Sprecherin für Internationale Beziehungen sowie Beauftragte für Migration und Integration der Fraktion DIE LINKE im Bundestag. Im Westend-Verlag erschien von ihr: „Der Fall Erdogan. Wie uns Merkel an einen Autokraten verkauft“.