Behauptungen und Antworten zum Ausgang der Wahl in Frankreich
Der Ausgang der französischen Präsidentschaftswahlen – mit dem Sieg von Emmanuel Macron im zweiten Wahlgang am 7. Mai – rief im bürgerlichen und teilweise auch im demokratischen Lager ein positives Echo hervor. FaktenCheck:EUROPA kann diese Bilanz nur in einem einzigen Punkt teilen: Die Kandidatin der extremen Rechten wurde nicht Präsidentin. Gut so! Es gibt für Linke und Demokraten jedoch viele Gründe für Skepsis. Im Folgenden vier typische Behauptungen derjenigen, die den Macron-Sieg bejubeln, und unsere Antworten.
Eine erste Behauptung lautet, mit dem 7. Mai sei die extreme Rechte in Frankreich gestoppt: Macron nach seinem Wahlsieg: „Ich werde alles dafür tun, dass in Zukunft niemand mehr einen Grund hat, Extremisten zu wählen.“
Antwort FCE: In Wirklichkeit sind 34 Prozent und zehn Millionen Stimmen für eine rechtsextreme, rassistische Kandidatin im zweitgrößten EU-Land und dies noch in einer Zeit ohne offene Krise ein beängstigendes Ergebnis. Das war auch bislang für den Front National Rekord. Frauke Petry von der AfD gratulierte Marine le Pen aus ihrer Sicht zu Recht. Der Front National erzielte ein drei Mal besseres Ergebnis als die AfD aktuell erwarten kann. Berücksichtigt man die hohe Wahlenthaltung, dann wurde Macron gerade mal von 42 Prozent der Wahlberechtigten gewählt. Von denen wiederum stimmte eine Mehrheit nur deshalb für Macron, weil sie le Pen verhindern wollten.
Vor allem ist in Frankreich inzwischen das alte Politsystem mit zwei ähnlich großen Lagern weitgehend zerschmettert; die Konservativen und die Sozialisten hatten im zweiten Wahlgang keine eigenen Kandidaten mehr. Diese traditionellen Parteien wurden fast pulverisiert. Parlamentarisch gesehen ist Macron, der keine Partei hinter sich hat, ein Luftikus. Er dürfte mit Notverordnung und Ausnahmerecht Politik machen. Aus klassenpolitischer Sicht ist er jedoch ein Schwergewicht: Hinter ihm stehen erstens die französischen Konzerne und Banken, zweitens die deutsche Regierung und drittens die deutschen Konzerne und Banken. Vor diesem Hintergrund dürfte sich die soziale Krise in Frankreich gerade unter einem Präsidenten Macron verschärfen. Und diese Krise ist im Kern eine klassenpolitische.
Eine zweite Behauptung lautet, mit dem Macron-Sieg werde die EU stabilisiert. Jean-Claude Juncker jubelt: „Frankreich hat die europäische Zukunft gewählt“. Martin Schulz echot: „Jetzt machen wir Europa besser.“
Antwort FCE: Mit dem Macron-Wahlsieg wurde die akute EU-Krise nur vertagt. Alle Krisen-Faktoren wirken weiter: Der Euro wird die Kluft zwischen dem Zentrum und der Peripherie vergrößern. Die Staatsschulden steigen überall – außer in Deutschland – stark an. Die Arbeitslosigkeit in der EU befindet sich trotz einem gewissen Wirtschaftswachstum auf Rekordhöhe. Macron verkündete öffentlich, wie er die soziale Krise verschärfen wird: Er will u.a. den öffentlichen Sektor – und hier auch den Sozialstaat – deutlich abbauen. Macron wird, im Verbund mit der Europäischen Kommission und der Regierung in Berlin – für einen Ausbau der Niedriglöhnerei und der Finanzherrschaft in Europa eintreten. Die Kluft zwischen Zentrum und Peripherie und die Armutsregionen werden sich ausweiten. All das sind Faktoren, die in der nächsten zyklischen Wirtschaftskrise, die so sicher wie das Amen in der Kirche kommt, ein explosives Potential bilden.
Eine dritte Behauptung lautet, Macron sei „ein Mann der Mitte“. Er sei gar ein „sozialliberaler Politiker“.
Antwort FCE: Das ist kompletter Unsinn. Tatsächlich ist der Ex-Investmentbanker Macron in der Substanz ein rechter und brutaler Neoliberaler. Er will die realen Arbeitszeiten in den Betrieben und Büros „flexibilisieren“, die Arbeitszeiten verlängern und die Arbeit intensivieren. Er will den Sozialstaat „umbauen“ zu einem rein steuerfinanzierten Modell, womit die Gewerkschaften entmachtet werden. Er will die Unternehmenssteuern drastisch senken, womit die Umverteilung von unten nach oben beschleunigt wird. Er hält an der Atomenergie fest. Er will 5000 Extra-Jobs bei Frontex und damit die menschenverachtende Festung Europa ausbauen. Er betrieb maßgeblich das Modell „Cars Macron“, den Ausbau der Fernbus-Verbindungen zum Nachteil der Schiene. Er will die französische Politik militärischer Interventionen fortsetzen.
Macron ist eng mit dem deutschen Finanzminister befreundet. Bereits unter Hollande als Wirtschaftsminister (2015/2016) agierte Macron als gelehriger Schäuble-Schüler. Sein damaliges Programm – das Gesetz mit seinem Namen („Loi Macron“) – orientierte sich deutlich an der deutschen „Agenda 2010“. Diese Orientierung wird er jetzt verstärken – mit Hilfen aus Berlin.
Eine vierte Behauptung lautet, mit dem Macron-Wahlsieg werde „die Achse Berlin – Paris stabilisiert“.
Antwort FCE: In Wirklichkeit ist diese Achse seit mindestens einem Jahrzehnt extrem einseitig deutsch-bestimmt. Bereits die Bündnisse Merkel mit Sarkózy und Merkel mit Hollande waren keine gleichberechtigten mehr. Und es war vor allem die Krise 2007, die das Verhältnis zwischen den beiden kapitalistischen Staaten qualitativ veränderte. Bis 2007/2008 lagen die Arbeitslosenquoten und die Schuldenquoten in Frankreich und Deutschland weitgehend auf gleichem Niveau. Ein Jahrzehnt später, 2017, jedoch liegt die Arbeitslosenquote in Frankreich doppelt so hoch wie in Deutschland. Die Schuldenquote – der Anteil der öffentlichen Schulden am Bruttoinlandsprodukt – stieg inzwischen in Frankreich bis Ende 2016 auf 96,6 Prozent. Sie sank in Deutschland auf 68,3 Prozent. Und während 40 Jahre lang Frankreich der wichtigste Handelspartner Deutschlands war, ist dies inzwischen China. Dabei ist der deutsch-französische Handel extrem ungleich; 2016 exportierte Deutschland für 36 Milliarden Euro mehr Waren und Dienstleistungen als es aus dem Nachbarland importierte.
Die deutsche Bundesregierung wird Macron offiziell hofieren. Faktisch wird sie die besonderen Beziehungen zu Macron jedoch dazu nutzen, die deutsche Hegemonie in Wirtschaft und Politik rücksichtslos auszubauen. Macron soll aus deutscher Sicht den Steigbügelhalter dafür stellen, dass im Europa der Banken und Konzerne die undemokratischen Herrschaftsinstrumente von EU-Kommission, Einheitswährung Euro und Europäische Zentralbank (EZB) erweitert und diese EU umfassend militarisiert wird.