Kinderarmut in Wuppertal

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Eine Meldung erschüttert das Tal – zumindest für einen halben Tag: Ein Drittel der Kinder in Wuppertal sind arm. So die Bilanz einer Studie der Bertelsmann Stiftung, die nicht gerade als kapitalismuskritisch bekannt ist. Selbst die WZ fragt: „Wo bleibt der Aufschrei?“. Die Wuppertaler Rundschau kommentierte „Worte, Worte, immer nur Worte“. Aber jetzt herrscht endlich wieder Ruhe – bis zum nächsten Wahlkampf.

Die Meldungen zur Kinderarmut kennen wir seit Jahren, die darauffolgenden Versprechen ebenso. Vor knapp zehn Jahren, im Jahr 2007 stellten Die Grünen im Wuppertaler Stadtrat eine Anfrage zur Kinderarmut an die Stadtverwaltung. Die Antworten:

Vorbemerkung [der Verwaltung]: Kinder sind nicht arm oder reich; Familien sind arm oder reich. Kinderarmut ist daher nicht von Familienarmut zu trennen. Das Armutsrisiko Nummer 1 ist Arbeitslosigkeit. Die gestiegene Langzeit- und Massenarbeitslosigkeit hat damit auch gravierende Folgen für viele Kinder. 

Frage 1: „Wie viele Kinder leben in Wuppertal an der Grenze oder unterhalb des Existenzminimums? Aus welchen Familienkonstellationen stammen diese Kinder? Wie hoch ist der Anteil der in Armut lebenden Kinder mit Migrationshintergrund?“ 

Antwort: „Die Leistungen nach dem SGB II werden als wirtschaftliches und sozio-kulturelles Existenzminimum definiert. Rund 15.000 Kinder und Jugendliche leben in Bedarfsgemeinschaften nach dem SGB II. Dies sind 24 % aller Kinder und Jugendlichen in Wuppertal. […] Überproportional betroffen sind insbesondere Alleinerziehende und Familien mit Migrationshintergrund. In Haushalten mit Alleinerziehenden leben rd. 6.500 Kinder und Jugendliche, in Familien mit ausländischer Herkunft rd. 4.100. Nicht einbezogen in diese Zahlen sind Menschen im Niedriglohnsektor. Auch deren Zahl hat deutlich zugenommen.“

Inzwischen ist die Zahl armer Kinder nochmals deutlich gestiegen – 2016 sind es 16.000, was 30 Prozent aller Kinder in Wuppertal ausmacht.

Dazu im Kontrast die Wahlversprechen der beiden ehemaligen Volksparteien:

Bundes–CDU Regierungsprogramm 2009 – 2013: „Gerechtere Chancen für alle Kinder und Jugendlichen in unserem Land sind die Grundlagen einer zukunftsorientierten Kinder- und Jugendpolitik. Keiner darf verloren gehen. Jeder hat eine faire Chance verdient.“

NRW–SPD Wahlprogramm 2012: „Kein Kind zurücklassen. Gut für NRW. Unsere nachhaltige Politik achtet die Rechte zukünftiger Generationen. Wir wollen, dass in NRW die Hoffnung, sozialen Aufstieg für sich, vor allem aber für die Kinder und Enkel organisieren zu können, wieder größer wird als die Sorge vor dem sozialen Abstieg.“

Die Kinderarmut in Wuppertal machte 2007 ein knappes Viertel aus (24%). 2016 ist es bereits fast ein Drittel (30%). Und dies, obwohl es dem Land dank Hartz – Reformen doch so viel besser geht, das Land Rekordexporte fährt, die schwarze Null einhält und angeblich die Arbeitslosigkeit sinkt. Was läuft falsch?

Könnte es sein, dass die Reichen zur stetigen Mehrung ihres Reichtums die Armen benötigen? Hatte Brecht recht, als er schrieb: „Reicher Mann und armer Mann / standen da und sah’n sich an / Und der Arme sagte bleich: / ‚Wär ich nicht arm wärst du nicht reich’“

Ich will nicht die vielen Maßnahmen aufzählen, die zumindest lindernd helfen könnten. Allein das mittlerweile jahrelange Gezerre um die Finanzierung der Schulsozialarbeit ist ein unwürdiges Trauerspiel. Das Team der Alten Feuerwache in Wuppertal entwickelt Programm um Programm. Die „Achtsamkeitsgruppe“ heimst Preise ein, muss aber um die Finanzierung betteln. Es gibt dann doch wohl Kinder, die wir ganz gerne zurücklassen.

Der Paritätische Wohlfahrtsverband fordert einen ALG II-Satz von über 500 Euro. Doch die derzeit 404 Euro werden 2017 nur um großzügige fünf Euro angehoben. Der Mindestlohn von 8,50 Euro wird als große Errungenschaft gefeiert. Die Anzahl prekärer Arbeitsverhältnisse erreicht jedes Jahr neue Rekorde. Die Rente ist in Gefahr.

Kinder, zumindest die von Alleinerziehenden oder Migranten, sind nicht „systemrelevant“ genug. Es reicht, wenn sie als Prekariatsmasse ihre Pflicht erfüllen. Die Regierung hat Wichtigeres zu tun. Sie muss beispielsweise darüber nachdenken, mit wie vielen Milliarden demnächst die Deutsche Bank gerettet werden soll.

Dirk Jädke ist Bewährungshelfer und aktiv beim Wuppertaler Aktionsbündnis gegen TTIP u.a. Freihandelsfallen