Gegen die G20-Freihandelspolitik

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Zu Recht in der Kritik: die deutschen Exportüberschüsse

von Alexis J. Passadakis

Mit den Protesten gegen die Freihandelsabkommen TTIP und CETA ist in der Bundesrepublik eine der mobilisierungsstärksten sozialen Bewegungen der letzten Jahrzehnte auf den Plan getreten. Aus einer ganz anderen politischen Richtung gerät seit dem Amtsantritt der neuen national-neoliberalen US-Regierung die Freihandelsdoktrin nun auch auf dem diplomatischen Parkett unter Druck. Handelspolitik ist somit zum strittigsten Konfliktpunkt der bisherigen deutschen G20-Präsidentschaft geworden. Welche Gefahren und Chancen ergeben sich daraus für die freihandelskritische Bewegung?

Zölle auf importierte Autos, ein Ausstieg aus der Nordamerikanischen Freihandelszone (NAFTA): Mit großspuriger Rhetorik kündigte die Trump-Administration zu Jahresbeginn spektakuläre Brüche mit dem neoliberalen Freihandelskonzept an. Als US-Finanzminister Mnuchin beim G20-Finanzministertreffen im März in Baden-Baden sich weigerte, die traditionellen Formeln des Lobs von Freihandel und Welthandelsorganisation (WTO) in die Abschlusserklärung aufzunehmen, löste das ein Beben aus. Gegenüber den perplexen Kollegen hatte Mnuchin nonchalant erklärt „Was in den vergangenen Kommuniqués gestanden hat, ist aus meiner Sicht nicht unbedingt relevant.“

Aus Angst vor einer Beschädigung des deutschen Export-Modells durch einen Kurswechsel der USA präsentierte sich Anfang Februar ein „Bündnis Zukunft der Industrie“ aus Bundeswirtschaftsministerium, BDI, DGB und IG Metall mit einer Erklärung „Gemeinsam gegen Protektionismus“. Wenige Wochen später kam Finanzminister Schäuble bewaffnet mit einem siebenseitigen Papier bei der Frühjahrstagung des Internationalen Währungsfonds (IWF) die Aufgabe zu, die US-Regierung von der Harmlosigkeit und zugleich Unabänderlichkeit des deutschen Exportüberschusses zu überzeugen. Denn die immensen Importe aus vor allem Deutschland und China in die USA, denen viel weniger Exporte von US-Konzernen in diese beiden Ländern gegenüberstehen, sind der republikanischen Regierung (allerdings auch schon der demokratischen Vorgänger-Regierung unter Obama) ein Dorn im Auge.

Trifft jedoch die Entgegensetzung „Freihandel vs. Protektionismus“ die Konfliktkonstellation? Letztlich verfolgen <I>alle<I< Staaten eine strategische Handelspolitik, die sowohl die Durchsetzung von Marktöffnung als auch protektionistische Maßnahmen umfasst. Ein Beispiel: Rohkakao wird mit Null Prozent Zollbelastung in die EU eingeführt. Wollten Entwicklungsländer allerdings Vollmilchschokolade exportieren, werden über 20 Prozent Zoll fällig. Nicht zuletzt auf dieser Grundlage kann Deutschland seine Exportweltmeisterschaft auch bei Schokolade verteidigen (1,9 Mrd. Euro 2016). Nicht nur Autos sind Made in Germany. Und weiter: Im Jahr 2007 erhöhten CDU und SPD die Mehrwertsteuer auf viele Waren von 16 auf 19 Prozent, um den Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung zu senken. Gut für Exporteure. Die Einschränkung der deutschen Massenkaufkraft ist dann schlecht für Importeure. Ja, und: Protektionismus.

Protektionistische Maßnahmen können als Instrumente ökonomischer Dominanz und eines Handelskrieges dienen. Allerdings ist für wirtschaftlich schwache Ländern eine einigermaßen gerechte Handelsordnung nicht möglich ohne einen Schutz neuer industrieller Sektoren, ohne einen Schutz von sozialen Standards, ohne Umweltschutz und Verbraucherschutz. Protegere heißt lateinisch schützen.

Statt wie die Freihandelsbefürworter undifferenzierte Protektionismus zu schmähen, sollte die Bewegung gegen CETA, TTIP, TiSA und Co. sich für eine Handelspolitik stark machen, die mit Hilfe eines breiten Instrumentenkastens Handelsströme politisch reguliert.

Insgesamt zeichnet sich ab, dass der Politikwechsel der US-Regierung weniger drastisch ausfällt als angekündigt: Statt eines Ausstiegs aus dem Freihandelsvertrag mit Mexiko und Kanada, wird es wohl punktuelle Neuverhandlungen geben. Auch eine generelle steuerliche Benachteiligung von Importen – nicht nur ein Schreckensszenario für deutsche Konzerne, sondern auch für Wal Mart u. a. – steht nicht mehr auf der Tagesordnung. Im Ergebnis ist eine aggressive national-neoliberale Außenwirtschaftspolitik zu erwarten, die weniger Rücksicht auf etablierte Pfade nimmt, allerdings ohne sie völlig zu verlassen.

Und Schäubles Verteidigung des Exportüberschuss‘?

2016 exportierten deutsche Unternehmen in phänomenaler Größenordnung mehr Waren und Dienstleitungen, als sie importierten. Dieses Plus betrug 253 Milliarden Euro. Grundlage für diesen „Erfolg“ sind stagnierende Löhne, geringe private Investitionen und niedrige öffentliche Ausgaben im Inland. Für andere Länder bedeutet die deutsche Exportschwemme: weniger Wertschöpfung, weniger Arbeitsplätze, Abhängigkeit von Finanzzuflüssen und Verschuldung! Denn dem deutschen Leistungsbilanzplus entspricht ein ebenso großes Minus bei den Ländern mit einer gegenüber der BRD negativen Leistungsbilanz. Dieses Minus muss mit Krediten finanziert werden, was wiederum Zinsen kostet.

Das Finanzministerium behauptet nun in seinem Erklärzettel für das Team von Trump: Die Regierung habe in keinster Weise Einfluss auf die Höhe der Überschüsse. Die Ironie der Geschichte ist, dass die Große Koalition im Verein mit der EU-Kommission Länder wie Griechenland dazu zwingt, u.a. durch Kürzungen im sozialen, Bildungs- und Gesundheitsbereich ihre Handelsbilanzdefizite zu vermindern: brutal-unsozial, aber im technischen Sinne erfolgreich. Mehrausgaben für öffentliche Infrastruktur, höhere Löhne im öffentlichen Dienst, eine niedrigere Mehrwertsteuer und ein armutsfester Mindestlohn in der Bunderepublik könnten spiegelbildlich dazu beitragen, hierzulande die Exportüberschüsse abzuschmelzen. Das liegt jedoch außerhalb der wirtschaftspolitischen Orthodoxie von Berlin. Und vor allem liegt es nicht im Interesse der Eigentümer und Großaktionäre der deutschen exportorientierten Konzerne.

Ein handelspolitischer Deal zwischen Berlin und Washington im Vorfeld des G20-Gipfels in Hamburg ist denkbar. Wahrscheinlicher ist, dass der Umgang mit den deutschen Exportüberschüssen weiter für Auseinandersetzungen sorgt. Für die freihandelskritische Bewegung eröffnet sich damit kurz vor der Bundestagswahl die Chance, für ihre Alternativen zu der aggressiven deutschen Exportagenda eine Öffentlichkeit zu finden. Und weil fast alle G20-Mitglieder zur Zeit in bilateralen oder multilateralen Freihandelsverhandlungen stecken, sollte die globale Aufmerksamkeit für die Gipfel-Show genutzt werden, um an dieser Stelle Sand ins Getriebe zu streuen.

Alexis J. Passadakis ist Politikwissenschaftler und ist aktiv bei Attac