Beispiele des Widerstands in Europa

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Österreich/Großbritannien/Spanien/Deutschland/Irland/Türkei

Österreich: Gegen Bildungskürzungen


Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte und Eltern organisieren sich in Salzburg gemeinsam gegen die geplante Bildungskürzung. Sie lassen sich nicht von den wenigen „Zuckerln“ wie der freien Lehrkräftewahl oder den frei festlegbaren Anfangszeiten der Schulen täuschen. Die ‚Bildungsreform‘ ist eine reine Sparmaßnahme. Anstatt den Schulen mehr Autonomie zu geben, was der Name vermuten lässt, macht das Autonomiepaket das genaue Gegenteil. Die Schulen sollen künftig den Mangel an Räumlichkeiten, Personal und Geldmitteln autonom verwalten müssen. Geld für echte Autonomie gibt es nicht. Um Sparmaßnahmen an den Schulen möglich zu machen, wird die Obergrenze für Klassengrößen aufgehoben. Man spart am Lehrpersonal. Und an der Qualität des Unterrichts. Außerdem wird mit den Schulclustern eine neue Führungsposition geschaffen: die ClusterleiterInnen. Dabei handelt es sich um eine weitere Stelle „oben“ anstatt unten, in den Schulen. Dabei fehlen dort laut Gewerkschaft rund 13.500 Posten für Unterstützungspersonal. Zusätzlich baut das Autonomiepaket die Zwei-Klassen-Bildung aus und öffnet Tür und Tor für „externe Geldgeber“, sprich die Eltern. Oder auch Banken und Konzerne. Diese wollen dann natürlich auch Einfluss auf das Schulgeschehen und den Unterrichtsinhalt nehmen. Beim Salzburg-weiten Aktionstag am 26. April wurde gegen die Kürzungsagenda der Regierung protestiert. Schülerinnen, Schüler und Lehrkräfte von zahlreichen Salzburger Schulen demonstrierten gemeinsam mit Eltern und solidarischen Menschen von ihrem jeweiligen Schulstandort in einem Sternmarsch.

Moritz Bauer, Schülervertreter an einem Salzburger Gymnasium

Save the NHS!

Die letzten zwölf Monate waren die schlimmsten in der Geschichte des britischen staatlichen Gesundheitswesens (NHS), das unter einem Druck wie nie zuvor steht. Die staatlichen Gesundheitsausgaben bis zum Jahr 2021 werden den stärksten Rückgang seit 1951 im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung erleben. Mehr als 13.000 Betten wurden bereits abgebaut. Das reduziert die Kapazität des NHS um fünf Millionen Patientinnen und Patienten pro Jahr. Private Konzerne drängen auf den Gesundheitsmarkt, um das NHS zu liquidieren. 2016 wurden Gesundheitsdienstleistungen und Krankenhäuser im Wert von 13 Milliarden Pfund an private Anbieter verkauft. Das ist eine Steigerung um 76 Prozent seit 2010. Die Privaten haben das Ziel vorgegeben, im Gesundheitssektor Gewinn von acht bis vierzehn Prozent zu realisieren. Profit aus Krankheit – das ist echt krank! Vier Millionen Patienten stehen auf Wartelisten. Faktisch müssen sie warten, weil reiche Privatpersonen vorgezogen werden. Nun will die Regierung weitere 22 Milliarden Pfund im NHS einsparen. Wenn wir das nicht verhindern, wird das NHS verloren gehen. Der Widerstand hat aber begonnen! Am 4. März demonstrierten 200.000 Menschen in London und folgten damit dem Aufruf des Bündnisses „Health Campaigns Together“. Diese Demonstration wirkt als Ansporn für weitere koordinierte Aktionen von Menschen in den Nachbarschaften, in den Gewerkschaften und in den politischen Organisationen. Wir sagen Nein zu Kürzungen und Privatisierungen. Wir fordern ein ausreichend finanziertes staatliches Gesundheitswesen NHS!

Mike Forsterist stellvertretender Vorsitzender des Bündnisses „Health Campaigns Together“

Spaniens Jugend steht auf

Im Spanischen Staat hat die rechte Regierung der Partido Popular krass rückwärts gewandte Gesetze im Bildungsbereich auf den Weg gebracht. Diese würden zu einem Bildungssystem führen, wie es unsere Eltern und Großeltern während der Franco-Diktatur erlebten, als einfache Leute keinen Zugang zu höherer Bildung hatten. Die Schülerinnen und Schüler haben kraftvoll geantwortet. Bei einem Generalstreik gingen sie in 25 Städten zu Hunderttausenden auf die Straße. Sie zwangen die Regierung, einige der schädlichsten Maßnahmen zurückzunehmen.

Aber die aufgestaute Unzufriedenheit drückt sich nicht nur im Kampf im Bildungsbereich aus. Am internationalen Frauentag, dem 8. März, hatten wir von der Schüler- und Studierendengewerkschaft aus zu einem einstündigen Streik gegen Macho-Gewalt aufgerufen. Den Beispielen der Frauen in den USA, Polen oder Argentinien folgend, hielten wir die Fahne des revolutionären Feminismus hoch und verurteilten die Heuchelei der Rechten: Diese beklagt die sexistischen Morde und kürzt gleichzeitig die Gelder für Opfer von sexistischer Gewalt und für staatliche Kinderbetreuung. Damit untergräbt sie die Unabhängigkeit von arbeitenden Frauen, um ihnen so alle diese Aufgaben aufzubürden. Mit diesen Maßnahmen ermutigen und verfestigen sie den Machismo immer mehr. An diesem historischen Tag waren wir mit Hunderttausenden jungen und erwachsenen Frauen auf den Straßen präsent.

Ana Garcia, Vorsitzende der Schüler- und Studierendengewerkschaft „Sindicato de Estudiantes“

Anm. d. Red: Spanienweit laufen auch die Vorbereitungen für die „Demonstrationen der Würde“ (Marchas de Dignidad), zu denen am 27. Mai in Madrid Millionen erwartet werden. Unter dem Motto: „Brot, Arbeit, Wohnung und Gleichheit“ sollen die bestehenden Kämpfe gegen die Armut, prekäre Arbeitsbedingungen, die asozialen Reformen, die Festnahmen von Aktivisten, gegen Gewalt gegen Frauen und für Löhne, von denen man leben kann, zusammengefasst werden.

Raus aus der Kohle!

Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter für Klimaschutz

Aufgrund des alarmierenden Klimawandels sind heiße Diskussionen um den Braunkohletagebau entbrannt. Politiker erklimmen rhetorische Höhen auf Klimagipfeln. Gewerkschaften sind besorgt um Arbeitsplätze. Anwohner müssen riesigen Kratern weichen. Klimaaktive besetzen Schaufelbagger. Besonders Letzteres hat im vergangenen Jahr die Gewerkschaft IG BCE auf den Plan gerufen. Sie zog mit der aggressiven Kampagne „Schnauze voll von Gewalt durch Ökoaktivisten!“ gegen das anstehende KlimaCamp im Rheinland zu Felde. Da hatten auch wir die Schnauze voll. Wir wollten zeigen, dass auch Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter für Klimaschutz eintreten und sich nicht vor den Karren der Konzerne spannen lassen. Außerdem war ein Zeichen der Solidarität mit den überwiegend jungen Leuten der Klimabewegung überfällig, die sich mit mutigen Aktionen und Kreativität für ihre Zukunft einsetzen. Spontan verfassten wir vor dem Camp noch einen Aufruf. Wir halten es für unverantwortlich, zerstörerische Arbeitsplätze zu verteidigen, deren Tage ohnehin gezählt sind. Verwenden wir unsere Energie lieber auf die Erarbeitung von Alternativen und einen gesellschaftlichen Umbruch zugunsten der Beschäftigten und Regionen!

Helmut Born, Mitglied im Landesbezirksvorstand ver.di NRW und aktiv in der Initiative // Beatrix Sassermann, aktiv in der Initiative und bei der Basisinitiative Solidarität (BaSo).

Mit dem Infomobil durch Griechenland

Das Infomobil ist ein Produkt der Erfahrungen mit dem Info-Point während des Noborder Camps 2009 auf Lesbos. Es ist das Ergebnis der Erkenntnis, dass es Geflüchteten vor allem an Informationen fehlt, um sich selbst besser zu helfen und zurechtzufinden. In einer kleinen Gruppe von Aktiven beschlossen wir damals, Geflüchtete weiter mit Infos zu ihren Möglichkeiten und Rechten zu versorgen und uns in dieser Form solidarisch zu verhalten. Die damalige Situation in Griechenland erforderte jedoch Mobilität und so kauften wir einen alten Bus, statteten ihn mit Solarenergie und Infomaterial aus und fuhren los. Etwa gleichzeitig gründete sich das Netzwerk Welcome to Europe und wir als Teil davon, arbeiteten u.a. auch an der Internetplattform http://w2eu.info mit, auf der seitdem auf vier Sprachen Informationen zu den verschiedenen Situationen in der EU zu finden sind. Seit zwei Jahren verteilen wir auch hunderte des von uns verfassten, mehrsprachigen Welcome to Greece-Guides (2015 wurden 50.000 Stück an Geflüchtete gegeben), der regelmäßig aktualisiert wird.  Mit dem Bus fahren wir bis heute verschiedene Orte an, wo wir beraten, Infos verteilen und Menschen an entsprechende Hilfenetzwerke und Organisationen anbinden – je nach Bedarf. 

Information mit, für und über Geflüchtete und ihre Situation“, das ist es, was wir machen. Das heißt Menschen treffen, zusammen sitzen und sich kennenlernen, sich austauschen, beraten und unterstützen. Das Ziel ist immer eins: Gemeinsam für eine andere Welt zu kämpfen, für Bewegungsfreiheit und gleiche Rechte für alle. Gegen Gefängnisse und Stacheldrahtzäune, gegen Abschiebungen und Abschieber wie Frontex und EASO und gegen das Sterben an den Grenzen. Welcome to Europe!

Salinia Stroux und Chrissa Wilkens 

Irland: Das Recht auf Protest wird angegriffen

Eine Massenbewegung und ein Boykott, der von 67 Prozent der Haushalte befolgt wurde, hat in Irland die Eintreibung der neu eingeführten Wassergebühren auf Eis gelegt. Sie müssen wahrscheinlich gänzlich zurückgenommen werden. Das wird ein massiver Sieg für die Bewegung gegen Austerität in dem Land Musterland der EU-Sparpolitik.

Das irische Establishment will nun Rache nehmen und hat einen Gerichtsprozess gegen 18 Aktivisten in die Wege geleitet. Sie werden mit hohen Haftstrafen bedroht. Diese hatten im Herbst 2014 an einem Protest im Dubliner Arbeiterstadtteil Jobstown teilgenommen, bei dem der Dienstwagen der damaligen stellvertretenden Premierministerin und Vorsitzenden der Labour Party, Joan Burton, blockiert wurde.

An dem Protest nahmen auch der Parlamentsabgeordnete für die linke Bewegung „Solidarity“, Paul Murphy, teil. Dieser wird nun zusammen mit anderen der Freiheitsberaubung angeklagt – für eine Sitzblockade, die die Abfahrt von Joan Burton um zwei Stunden verzögerte! Der Prozess hat im April begonnen. Die Höchststrafe auf Freiheitsberaubung ist lebenslänglich. Wird Paul Murphy zu einer Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten verurteilt, verliert er seinen Parlamentssitz.

Eine internationale Kampagne unter dem Titel #JobstownNotGuilty kämpft gegen diesen eindeutig politisch motivierten Versuch des irischen Staates, das Recht auf Protest massiv zu beschneiden. Internationale Personen wie Jean-Luc Mélenchon, Noam Chomsky, Angela Davies und viele linke EU-Abgeordnete unterstützen die Kampagne ebenso wie die Partei DIE LINKE in Deutschland.

Michael O’Brian, Stadtrat für „Solidarity“ in Dublin

Friedensappell = Haftgrund

Weil sie einen Friedensappell unterzeichnet haben, hat der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hunderte Wissenschaftler entlassen und ins wirtschaftliche Elend stoßen lassen. Der Aufruf war im Januar 2016 unter dem Titel: „Wir machen uns bei diesem Verbrechen nicht zum Komplizen“ veröffentlicht und von 1128 in der Türkei und an Universitäten im Ausland lehrenden türkischen Wissenschaftler gezeichnet worden. Die Erklärung entstand zu einer Hochzeit der neuen Gewalt in den kurdischen Gebieten. Die „Akademiker für den Frieden“ erhoben ihre Stimme gegen die Ausgangssperren, gegen das brutale Vorgehen der türkischen Armee und Polizei in den belagerten Städten. Sie forderten die türkische Führung auf, das „gegen die Regionalbevölkerung geführte Massaker“ und die „bewusste Politik der Vertreibung“ zu beenden und die Friedensverhandlungen wieder aufzunehmen. In der Folge gerieten sie selbst ins Visier. Es folgten Verhaftungen, Entlassungen, Prozesse.

Betroffen davon ist auch der promovierte Soziologe Sharo Garip (Foto). Der Absolvent der Universität in Köln sitzt seit mehr als einem Jahr in Istanbul fest und wird als „Terrorist“ verfolgt. Zwischenzeitlich war er in Untersuchungshaft. Die Türkei darf er bis zum Prozessbeginn nicht verlassen. Im Fall einer Verurteilung droht dem deutschen Staatsbürger eine mehrjährige Haftstrafe. Seinen Job an der Universität Van hat Sharo Garip längst schon verloren, ebenso seine Wohnung. Von der Bundesregierung sieht er sich im Stich gelassen. Er ruft dazu auf, die demokratischen Kräfte in der Türkei nicht im Stich zu lassen.

Infos unter: https://kurzlink.de/garip-appell [Diese Meldung konnte in der Printausgabe von FCE03 nicht wiedergegeben werden]

Türkei: Ja zum Widerstand

Als eines der wenigen verbliebenen alternativen Medien in der Türkei haben wir bei Sendika.Org über die Nein-Kampagne zum Verfassungsreferendum breit berichtet und damit die Zensur unterlaufen. Unsere Seite wurde deshalb unzählige Male blockiert, ab dem 3. April einen Monat lang fast täglich. Wir eröffnen dann immer eine neue Seite, aktuell heißen wir sendika39.org.

Nach dem Referendum gingen die Menschen auf die Straße, um gegen die manipulierten Abstimmungsergebnisse zu protestieren. Weil ich in einem Artikel „das Ergebnis des Referendums als nicht legitim dargestellt und zu Protesten aufgewiegelt“ hätte, kam ich für fünfeinhalb Tage ins Gefängnis. Seit dem 26. April bin ich wieder frei, die Ermittlungen gegen mich laufen weiter. Wenige Tage später folgte in einem anderen Verfahren ein Urteil gegen mich: 15 Monaten Gefängnis auf Bewährung, wegen angeblicher „Terrorpropaganda“. Ans Aufgeben denke ich nicht.

Erdogan hat die Macht und setzt seine Attacken gegen uns fort. Er muss die Wahrheit unterdrücken, eine andere Chance hat er nicht. Wir sind aber nicht allein, und wir sind nicht schwach. Wir sind mindestens die Hälfte der Gesellschaft. Die größten Städte, darunter Istanbul, Ankara und Izmir, die Mehrheit der städtischen Arbeiterklasse, Intellektuelle, Frauen, Jugendliche, Linke, Kurden, Alewiten sagen NEIN. Und das ist erst der Anfang. Der Kampf geht weiter.

Ali Ergin Demirhan, Redakteur beim linken Online-Portal Sendika.Org // Wir bitten um Beteiligung an der Soli-Spendenaktion beim Labournet.de e.V.: IBAN DE76430609674033739600, Verwendungszweck “Sendika”