Linke Kampagne pro Brexit

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Interview mit Enrico Tortolano von „Trade Unionists against The EU“

Frage: Warum haben Sie sich gegen den Verbleib Großbritanniens in der EU engagiert?

Früher war ich Leiter der politischen Abteilung einer großen Gewerkschaft im öffentlichen Dienst. Heute bin ich der Kampagnen-Direktor von Trade Unionists against the EU. Wir sind ein Zusammenschluss von Gewerkschaftern aus verschiedenen Gewerkschaften in ganz Großbritannien. Wie die allermeisten anderen Menschen auch bin ich täglich direkt mit der EU konfrontiert. Für mich ist das Schicksal Griechenlands nur ein Beispiel für den brutalen Charakter der EU.

Frage: Welche Auswirkungen hat die EU auf die gewerkschaftliche Arbeit in Großbritannien?

Gewerkschafter finden sich in einem antidemokratischen Apparat gefangen, der von Großunternehmen erschaffen wurde, um Arbeiterrechte zu zerstören, Austerität zu erzwingen und Arbeiterwiderstand zu paralysieren. Die EU ist rassistisch, imperialistisch, gegen Arbeiter gerichtet und antidemokratisch. Sie funktioniert voll und ganz nach den Bedürfnissen der Superreichen. Eine Zukunft ohne Austeritätspolitik kann es nur geben, wenn der Kampf zum Verlassen der EU gewonnen wird. Neoliberale Politik dominiert die Europäische Kommission, das Europaparlament, die Europäische Zentralbank und den Europäischen Gerichtshof. In Europa sind 22 Millionen Menschen arbeitslos und überall gibt es Unterbeschäftigung. Die einzig existierenden Jobs sind schlecht bezahlt und unsicher. Unsere Renten stagnieren und unsere Schulden steigen in astronomische Höhen. Wir leben von Woche zu Woche, können uns die Mieten oder Hypotheken nicht leisten, Energiekosten, Telefonkosten, der öffentliche Nahverkehr, Kinderversorgung: Alles wird immer teurer.

Frage: Der TUC hat sich für den Verbleib in der EU eingesetzt und behauptet, dass man nur so Arbeiterrechte vor den Tories schützen könne. Wie sind Sie damit umgegangen?

Das ist absurd. Die EU ist als Organisation des kapitalistischen Establishments geschaffen worden. Die Mehrheit von Labour der Gewerkschaftsbewegung sind leichtgläubig, wenn sie an den Mythos des sozialen Europas glauben. Der späte, leider verstorbene, Generalsekretär der Transportarbeitergewerkschaft RMT Bob Crow hatte vollständig recht als er sagte: „Kein einziger Job ist durch EU-Gesetzgebung gerettet worden. Sie ist voller arbeitgeberfreundlicher Schlupflöcher, die genutzt werden, um jeden möglichen Vorteil für die Arbeiter zu ignorieren. Gleichzeitig sind Zero-Hours Verträge und Leiharbeit zum Normalzustand geworden. Kollektive gewerkschaftliche Rechte und sichere Arbeitsverhältnisse wurden abgebaut.“ Arbeiterrechte werden nur durch unsere kollektive Stärke und konkrete Kämpfe – fast immer auch gerichtet gegen die EU – errungen.

Frage: Wie sind Sie mit dem Vorwurf umgegangen, dass eine Stimme gegen die EU eine Stimme für UKIP sei?

Die EU ist doch in erster Linie eine rassistische Festung Europa, die alles tut, um Flüchtlinge aus Syrien und anderen Ländern aufzuhalten. Jeden Tag ertrinken Flüchtlinge im Meer. Wer nach Europa gelangt, wird oft in Lager gesperrt. Außerdem betreibt die EU wirtschaftspolitischen Terrorismus. Es gibt eine aggressive Handelspolitik, insbesondere gegenüber afrikanischen Ländern. So wird Armut gesteigert und die reichen, weißen 1 Prozent der Bevölkerung werden reicher. Auch Solidarität zwischen den EU-Staaten existiert nicht. Zwischen Deutschland und Griechenland gibt es heute Spannungen, wie man sie seit 1945 nicht gesehen hat.

Frage: Wie haben Gewerkschafter auf Ihre Kampagne reagiert?

Wir hatten Unterstützung aus allen Teilen der britischen Gewerkschaftsbewegung und von Gewerkschaften aus ganz Europa. Jetzt haben wir gesehen, wie Millionen von Gewerkschaftsmitgliedern und Menschen aus der Arbeiterklasse für ein Verlassen dieser neoliberalen EU gestimmt haben. Das war eine Ablehnung des politischen Establishments und ihrer Institutionen. Gewerkschafter sind sich über die soziale Desintegration, den wirtschaftlichen Niedergang und das demokratische Defizit der EU im Klaren. Die wichtigsten EU-Initiativen waren die Strategie des gemeinsamen Marktes, die europäische Wettbewerbspolitik, wirtschaftliche Integration und der Wachstums- und Stabilitätspakt. Freihandel, freier Kapitalverkehr und Schuldenbremsen werden gefördert, kollektive Interessen bekämpft.

Frage: Was sollte aus gewerkschaftlicher Sicht nun passieren?

Artikel 50 des Lissabon-Vertrages muss sofort angewendet werden. Die Medien und das politische Establishment werden versuchen, die Lage zu manipulieren. Arbeitende Menschen müssen wachsam sein.

Das Interview führte Christian Bunke für FCE