Die Pandemie unter Bedingungen des Patriarchats

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COVID-19 verstärkt Ungleichheit zwischen den Geschlechtern

von Verena Kreilinger

Das Corona-Virus diskriminiert nicht. Die gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen es auftritt, jedoch umso mehr. Weltweit sind Frauen unverhältnismäßig stark von der Corona-Krise betroffen.

In der Krise sind es Frauen, die an vorderster Front stehen – im Kampf für das Leben.

Die Krise zeigt deutlich, welche Arbeit für unsere Gesellschaft wichtig ist – und welche nicht. Niemand ruft in der Not nach Investmentbankern, Marketingleitern und Waffenentwicklern. Wir brauchen Nahrung, Fürsorge, Unterkunft, Bildung. Wir brauchen Menschen, die füreinander da sind, in den Bereichen Pflege, Reinigung, Medizin, in den Küchen, bei der Müllabfuhr, in der Land- und auch bei der Kopfarbeit. Menschliche Arbeit, die Leben erhält und nährt. Es sind vor allem Frauen, die diese wichtige gesellschaftliche Arbeit leisten. Schlecht oder gar nicht bezahlt, bei oft wenig Anerkennung.

Gerade im Gesundheits- und Pflegesystem und im Lebensmittel-Einzelhandel sind überdurchschnittlich viele Frauen beschäftigt. Die Corona-Krise fordert von diesen Menschen unglaublich viel. Sie sind ständig dem Risiko der eigenen Ansteckung ausgesetzt. Umso mehr als adäquate Schutzbekleidung oft nicht ausreichend vorhanden ist.

Applaus reicht hier nicht. Es braucht Gefahrenzulagen, Sofortzahlungen, und vor allem eine langfristige Aufwertung durch Lohnerhöhung und Arbeitszeitverkürzung.

Die Krise zwingt Frauen in alte Rollenbilder. Die Schließung von Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen stellt vor allem Frauen vor die Herausforderung, Berufstätigkeit, Kinderbetreuung, Home-Schooling und Haushaltsführung unter erschwerten Bedingungen zu vereinbaren. Alleinerzieherinnen sind hiervon besonders hart betroffen. Es fehlt an Maßnahmen wie Anspruch auf Betreuungsurlaub, Kündigungsschutz, Entgeltfortzahlung etc.

Frauen sind zudem mehrheitlich zuständig für die Pflege der älteren Generation, die aufgrund ihres Risikos derzeit besondere Unterstützung braucht. Auch das System der 24-Stunden-Pflege, das auf der Ausbeutung von Frauen aus Osteuropa beruht, bricht nun zusammen. Grenzen sind geschlossen. Die Frauen werden zu Hause gebraucht.

Die Regierungen kalkulieren bei der Virusbekämpfung bewusst die höhere häusliche Belastung der Frauen ein, anstelle die Mehrbelastung gerecht auf alle Schultern zu verteilen.

Auch von den ökonomischen Konsequenzen der Krisenbearbeitung sind Frauen besonders stark betroffen. Die verschiedenen Einschränkungen im Tourismus, in der Gastronomie, im Handel, in der Kinderbetreuung etc. führen zu Kurzarbeit, unbezahltem Zwangsurlaub und Kündigung der vielen weiblichen Arbeitskräfte in diesen Bereichen. Dies trifft Frauen aufgrund von geringeren Ansprüchen auf Arbeitslosengeld und der Gefahr von Altersarmut oft besonders hart. Besonders dramatisch ist die Situation für viele, insbesondere migrantische Frauen, die in Schwarzarbeit für Reinigungsdienste, in der Sex-Arbeit oder in der häuslichen Pflege tätig sind. Neben ihren Einkommen verlieren sie oft ihre Krankenversicherung, Aufenthaltsgenehmigung oder Unterkunft.

Verschärfend kommt die Gefahr von häuslicher Gewalt gegenüber Frauen hinzu, wie dies bereits in Zeiten erhöhter Zweisamkeit rund um die jährlichen Feiertage der Fall ist. Isolation, Langeweile und Zukunftsängste können die Gewaltbereitschaft von Männern gegenüber Frauen noch zusätzlich erhöhen. Studien zur Situation in Wuhan ergaben eine Verdreifachung der Gewalt gegen Frauen in den Zeiten der Corona-bedingten Isolation.

Geradezu absurd ist die Situation rund um Schwangerschaftsabbrüche. Diese werden in vielen Krankenhäusern nur mehr durchgeführt, wenn das Leben der Frau gefährdet ist. Die gerechtfertigte Maßnahme, Kapazitäten für COVID-19-Erkrankte frei zu halten, darf nicht mit dem Selbstbestimmungsrecht der Frauen ausgespielt werden. Schwangerschaftswochen lassen sich nicht verschieben!

Es ist die Arbeit von Frauen, die unsere Gesellschaft zusammen- und am Leben hält. Frauen haben gesellschaftliche Macht. Nicht nur die Krise, auch die starken Frauenbewegungen der letzten Jahre machen dies sichtbar. Bauen wir mit dieser sozialen Macht eine Gesellschaft auf, in der das gute Leben für alle und eine gesunde Natur im Mittelpunkt stehen!

Verena Kreilinger ist Medienwissenschafterin und lebt in Salzburg. Sie ist aktiv bei Aufbruch für eine ökosozialistische Alternative (www.oekosoz.org)


Lockerungen – wem nützen sie?

Plädoyer für einen Schutzschirm für Schülerinnen und Schüler

von Sascha Stanicic

Die beschlossenen Lockerungsmaßnahmen erhöhen das Risiko einer zweiten Infektionswelle. Von Anfang an haben die politisch Verantwortlichen nicht konsequent im Sinne des Gesundheitsschutzes gehandelt. Zu spät wurden weitgehende Maßnahmen angeordnet. Gleichzeitig wurden unzählige Betriebe, die nicht zur Aufrechterhaltung der Grundversorgung wirtschaften, nicht geschlossen. Das führt die beschlossenen Einschränkungen ad absurdum.

Tests und Masken

Vor allem aber wird nicht massiv in die eigentlich nötigen Maßnahmen investiert. So werden viel zu wenige Tests durchgeführt. Nötig sind flächendeckende Tests, um infizierte Personen zu lokalisieren, diese für den Zeitraum der Infektion zu isolieren und medizinisch zu behandeln. Aber die Marktwirtschaft ist nicht in der Lage, auf solche Notwendigkeiten schnell zu reagieren: Die nötigen Laborkapazitäten werden nicht aufgebaut. Das entsprechende Personal wird nicht aufgestockt. Die nötigen Materialien werden nicht produziert.

Vergleichbares gilt für das Chaos bei den Masken. Dieses ist nur damit erklärbar, dass die Regierung nicht in der Lage ist, ausreichend Masken zu beschaffen. Statt Unternehmen anzuweisen, zum Selbstkostenpreis solche Masken herzustellen ((wie z.B. in Südkorea erfolgt), können sich gierige Kapitalisten eine goldene Nase verdienen. Der deutsche Sportartikelhersteller Trigema verkauft zehn Masken für 120 Euro – das entspricht grob dem Fünfzigfachen des Herstellungspreise!

Dem Druck des Kapitals nachgegeben

Gleichzeitig hat die Politik dem Druck aus der Wirtschaft nachgegeben und eine Öffnung von u.a. Autohäusern und Geschäften mit einer Ladenfläche bis 800 Quadratmeter ermöglicht. Diese Maßnahme erhöht zweifellos das Infektionsrisiko unnötig; sie dient nur den Profitinteressen. Natürlich leiden zur Zeit auch viele kleine Gewerbetreibende unter den Ladenschließungen. Diesen muss jedoch durch staatliche Zuschüsse geholfen werden, um sicherzustellen, dass sie ihren Angestellten weiter den vollen Lohn zahlen können und selbst nicht in die Pleite rutschen.

Schulen und Kitas

Die Öffnung der Schulen findet ausschließlich unter dem Gesichtspunkt statt, dass das Prüfungssystem nicht in Frage gestellt werden dürfe. Sinnvoll wäre ein Schutzschirm für Schülerinnen und Schüler gewesen? Sein Inhalt: Diesem Jahrgang werden die Abschlüsse auf Basis der bisherigen Leistungen gewährt. Zu ergänzen wäre dies mit einem überdurchschnittlichen Prüfungsergebnis, womit die besonderen Belastungen im Corona-Halbjahr berücksichtig würden. Schulöffnungen ohne eine Sicherstellung von notwendigen Hygiene- und Sicherheitsstandards und pädagogischen Konzepten für diese Ausnahmesituation sind zum jetzigen Zeitpunkt abzulehnen. Sie sollten nur unter Kontrolle von demokratisch gewählten Vertretungen der Lehrkräfte, der Schülerschaft und der Eltern eingeleitet werden.

Gleichzeitig sollten die Kindertagesstätten und der Schulbetrieb für jüngere Kinder auf absehbare Zeit geschlossen bleiben. Hier muss gewährleistet werden, dass betroffene Eltern nicht zum Home Office gezwungen werden, sondern unter Beibehaltung der vollen Lohnfortzahlung von der Arbeit freigestellt werden. Für Eltern in „systemrelevanten“ Berufen, die dann noch arbeiten müssen, muss es eine ausreichende Notversorgung unter Einhaltung der Hygiene- und Sicherheitsstandards geben.

Bilanz: Die Maßnahmen von Bund und Ländern setzen falsche Prioritäten. Sie orientieren sich einmal mehr an den Interessen der Wirtschaft. Der Kampf für ausreichend Tests, Masken und Schutzkleidung, für einen Ausbau des Gesundheitswesens in öffentlicher Hand, für Überführung von Unternehmen in öffentliches Eigentum, um eine Umstellung der Produktion auf die notwendigen Produkte zu erreichen etc. muss aufgenommen werden. Wir sollten das System, das uns in diese Krise befördert hat, benennen und Alternativen formulieren: Privateigentum, Marktkonkurrenz und Profitwirtschaft müssen überwunden werden.

Sascha Stanicic ist Bundessprecher der Sozialistischen Organisation Solidarität (Sol) und Mitglied des AKL-Länderrats


Die Solidarität in den Zeiten der PandemieBlog zur Corona-Krise

Mit diesem Blog wollen wir dazu einladen, trotz Kontaktsperre Informationen über Corona@Work auszutauschen, Verbundenheit und Solidarität über die Betriebe und einzelnen Arbeitsplätze hinweg herzustellen: Wie gehen die Arbeitgeber mit der Situation um? Wie sieht es mit dem Arbeits- und Gesundheitsschutz aus? Wie steht es um die Sicherheitsvorkehrungen am Arbeitsplatz und wie um die Sicherheit der Arbeitsplätze? Gibt es Kurzarbeitergeld und für wen? Wenn Ihr den Eindruck habt, dass Euer Arbeitgeber die Corona-Krise auf Eurem Rücken zu lösen gedenkt, dann schreibt uns schnell eine Mail mit den Berichten über die entsprechenden Vorkommnissen an folgende Adresse: express-afp@online.de Wir werden Eure Texte auf diesem Blog veröffentlichen, weil wir denken: Wenn Ungerechtigkeit am besten im Dunkeln gedeiht, dann wird es Zeit, sie öffentlich zu machen.

An injury to one is an injury to all! Siehe: https://corona-at-work.de/