von Peter Wahl
Schon vor Corona war die EU schwer gezeichnet. 2008 Finanzcrash. 2010 Eurokrise. 2015 Migrationsdrama. 2020 Brexit, Amputation der zweitgrößten Volkswirtschaft. Und jetzt die Superkrise. So mancher unkt schon, das Projekt sei am Ende.
Aber: Auch wenn die EU zu den Verlierern der Krise gehört, der große Knall ist unwahrscheinlich. Allerdings werden die Erosionserscheinungen beschleunigt und die innere Zerklüftung vertieft. So wie die Krise innerhalb der Länder die soziale Polarisierung verschärft, so werden die Widersprüche zwischen Nord und Süd, Ost und West zunehmen – trotz Hilfspaketen. Die imperiale Überdehnung der EU schlägt zurück.
Auch bleiben nach Corona die chronischen Gebrechen, vorneweg die Fehlkonstruktion Euro. Ursprünglich als Katalysator der Integration gedacht, erwies er sich als Spaltpilz. Der Norden hat profitiert, der Süden blieb zurück. So lag das italienische Pro-Kopf-Einkommen bei der Euro-Einführung um tausend Euro über dem Eurozonen-Schnitt, heute aber um 4.000 darunter. Es rächt sich, dass der Euro die weltweit einzige Währung ist, bei der öffentliche Schulden genauso wirken wie Schulden in ausländischer Währung. Daher der erbitterte Dauerstreit über Staatsverschuldung.
Die EU ist aber kein Nationalstaat wie die USA oder China. Sie verfügt nicht über dessen politische und ökonomische Gestaltungsmacht. Die krampfhaften Versuche, Großmacht zu spielen, einschließlich Militarisierung und Atomwaffen, sind weder realistisch noch wünschenswert. Nationalismus wird nicht durch Europatriotismus überwunden. Wir kämen vom Regen in die Jauche. Nötig wäre ein Paradigmenwechsel. Statt „Mehr Europa!“ braucht es mehr Flexibilisierung nach innen und Offenheit und Kooperation nach außen. Schließlich ist das Leitbild für wirklichen Internationalismus nicht „Proletarier und Bourgeois der Eurozone vereinigt euch!“
Peter Wahl ist Vorstandsmitglied von WEED und aktiv im Wissenschaftlichen Beirat von Attac.