Neue Handlungsfähigkeit für die Linke

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Weniger Exit-Diskussion – mehr Eintritts-Debatte

von Thies Gleiss

Im Gegensatz zur wiederholten Behauptung trifft die Corona-Krise die Menschen nicht alle gleich. Im Gegenteil, sie wirft ein grelles Licht auf die weltweiten Klassenunterschiede und verschärft diese. Das betrifft die erste Phase der Pandemie-Politik, die darauf abzielte, physische Kontakte zwischen den Menschen zu minimieren. Und das trifft noch mehr auf die jetzt beginnende Exit-Debatte zu.

Die „Rettungspakete“ sind gigantisch, aber niemand soll sich Illusionen machen: Jede Maßnahme in diesem Rettungspaket hat den Klassencharakter der Gesellschaft bestätigt. Schon heute wird versucht, das Fundament dafür zu legen, dass auch diese Krise der Bevölkerung – und hier nicht von den Vermögenden und Reichen – bezahlt wird.

Das viel gerühmte Kurzarbeitergeld plündert die Sozialkassen und subventioniert die Unternehmen, ohne die Verfügungsmacht über das Kapital auch nur geringfügig anzutasten. Die Lohnempfängerinnen bezahlen das zusätzlich durch 40 Prozent Lohneinbußen. Die Millionen von Kleinstunternehmen und Soloselbstständigen bekommen nur einen Mini-Zuschuss und die Minijobber, Studierende und etliche andere gucken ganz in die Röhre.

Die nächste Phase ist eingeleitet

Je länger die Ausnahmeregelungen und Ausgehverbote andauern, desto mehr werden sie nur durch polizeiliche Maßnahmen durchgesetzt werden können. Auf Einsicht, Solidarität und Empathie kann eine Ellbogen- und Klassengesellschaft leider nicht setzen. In vielen Ländern beginnen schon Unruhen in der Bevölkerung aufgrund der offensichtlichen Ungerechtigkeiten der Ausnahmeregelungen.

Gleichzeitig scharren die Unternehmerverbände und ihre politischen Repräsentanten mit den Füßen, dass schnellst möglich ein Ende der Einschränkungen, soweit sie sich auf ihre Geschäftstätigkeit beziehen, verkündet wird. Die „Exit-Diskussion“ ist eröffnet.

Die politische Linke darf nicht den Fehler machen, sich auf diese Exit-Diskussion einzulassen. Weder mit medizinischen noch politischen Argumenten. Stattdessen wird es immer dringender, eine „Eintritts-Debatte“ zu organisieren. Es gibt kein gemeinsames Klasseninteresse und die Forderungen an die Linke, sich in eine nationale Einheitskrisenbewältigung einzureihen, sind falsch. Die Vorstellung, erst gemeinsam den Kapitalismus von der Pandemie befreien und danach den Kapitalismus überwinden, ist falsch. Es darf keinen Burgfrieden mit dem Kapitalismus und seinen politischen Köpfen geben.

Die Rückeroberung der politischen Autonomie für die Linke hätte drei Anknüpfungspunkte:

• Erstens die harte Kritik an den Ungereimtheiten und Ungerechtigkeiten der Regierungsmaßnahmen. Die Interessen der Lohnabhängigen, Erwerbslosen, Rentnerinnen und Rentner und der Studierenden müssen berücksichtigt werden. Produktionspausen und Kurzarbeit dürfen nicht zu Lasten der Beschäftigten und ihre Familien gehen. Auch die Beschränkungen der politischen Freiheiten und Grundrechte muss kritisch begleitet werden. Jede Maßnahme muss transparent sein, öffentlich überprüft werden und zeitlich befristet sein.

• Zweitens die Verteidigung und Weiterentwicklung neuer Formen von Solidarität. Nachbarschafts-hilfen, dezentrale Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, Entschleunigung des gesellschaftlichen Lebens, neue Formen des digitalen Protestes – all dies können Keimzellen einer alternativen Wirtschafts- und Lebensweise werden. Die Rückkehr zur „Normalität“ der Vereinzelung und des Individualismus muss so schwer wie möglich gemacht werden.

• Drittens schließlich zeigt auch diese Krise, wer und was entbehrlich ist für eine Zukunft der Menschen. Kriege und Waffen werden genauso wenig benötigt wie überflüssige Konsumartikel, Wegwerfprodukte und Werbung. Wenn eine breite Mehrheit der Gesellschaft sich in die demokratische Planung der Wirtschaft einschaltet, dann gäbe es fast automatisch eine Verbindung zu den Zielen der Klimabewegung von heute und ebenso zu uralten Forderungen der Gewerkschaftsbewegung nach besseren Löhnen, kürzerer Arbeitszeit und schönerem Leben.

Solidarität in diesem Sinn wird grenzenlos sein. Schon heute ist klar, dass die armen Länder auch für diese Corona-Krise einen viel höheren Preis als die Menschen in den Hochlohnzentren zahlen werden. Eine neue, weltweite Solidarität der Linken muss das verhindern.

Thies Gleiss, Mitglied im Parteivorstand DIE LINKE; im Bundessprecher*innenrat der Antikapitalistischen Linken in der LINKEN; langjähriger Betriebsrat und IG Metall-Aktiver.


Die Solidarität in den Zeiten der Pandemie

Kapitalismus – für uns nicht systemrelevant

Digitalisierungsschub, Überforderung im Homeoffice, plötzlich offiziell systemrelevant – in den ersten Wochen beklatscht, erhalten sie in der nächsten vom Arbeitsministerium die Klatsche und sollen nun sogar zwölf Stunden arbeiten. Andere arbeiten normal weiter, ohne Schutz, ohne Hygiene. Was schnell während Corona eingeführt wird, droht dauerhaft zu bleiben. Doch Mitbestimmung und Arbeitsrechte gelten auch in der Pandemie. Bei manchen ist es gelungen die Produktion zu stoppen oder gute Regelungen durchzusetzen. Als OKG (Organisieren Kämpfen Gewinnen) ist es unser Anliegen dies zu bestärken und uns dabei gegenseitig zu unterstützen, im Kampf um unser Leben und gegen ihre Profite.

Wir führen Interviews, um den Menschen an vorderster Front eine Stimme zu geben. Eine Pflegekraft erzählt, wie sie im Interesse von Beschäftigten und Erkrankten gemeinsam Druck auf Politik und Krankenhausleitung aufbauen. Wir veröffentlichen Texte, etwa zum Zusammenhang von Just-in-time Kapitalismus und der Ausbreitung von Covid 19 und laden zum direkten Austausch ein.

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